China – Teilstrecke einer Fahrrad-Weltreise (Bericht+Bilder)

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Helmut
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China – Teilstrecke einer Fahrrad-Weltreise (Bericht+Bilder)

Beitragvon Helmut » 15.11.2014, 02:49

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Heike Pirngruber (42) schrieb: Ich bin im Mai 2013 mit dem Rad alleine in Heidelberg gestartet. Fast 25.000 km bin ich nun durch 23 Länder geradelt, davon 6.000 km durch China. Mein derzeitiges Ziel heiβt Australien, was ich auf vielen Umwegen in ferner Zukunft erreichen möchte. Mehr über mich gibt es auf meiner Website zu lesen www.pushbikegirl.com

China – Teilstrecke einer Fahrrad-Weltreise

Ich war bereits seit vielen Wochen in China unterwegs. Ein spannendes Land. Anstrengend, bürokratisch, riesengroβ und sehr gegensätzlich. Faszinierend, nervend und trotz aller Schwierigkeiten, die ich vor allem durch die immense Sprachbarriere hatte, war ich von China sehr angetan. Ja, China war klasse.

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Mein Weg führte mich von der Kasachischen Grenze nach Osten. Durch Wälder, Berge und die brutal heiβe Gobi Wüste. Von dort bog ich auf das Qinghai Plateau ab und kämpfte mit dem ewigen Wind, der Höhe, matschigen Straβen und ab und zu auch mit der Einsamkeit. Erzählen möchte ich Euch heute von dem für mich schönsten Abschnitt meiner China Durchquerung, nämlich der Strecke entlang der Straβe S 217 in der Provinz Sichuan. Von Ganzi nach Shangri La.

Kurz hinter Ganzi bog ich von der Hauptstraβe in ein Seitental ab. Eine super Straβe, die mich direkt an einem reißenden Fluβlauf entlang führte. Es war traumhaft schön. Tannen, der ganze Hang war voller Tannen. Die Luft war klar und frisch und es roch nach frischem Holz. Kaum Verkehr. Ab und an winzige Dörfer, oder teils nur Häuser, die wunderschön verziert und bemalt waren. Die meisten aus Holz, oder zumindest der Giebel war aus Holz. Es war paradisisch. Wenn auch zwischendurch immer wieder ein paar Hügel zu überwinden waren, ging es doch langsam aber stetig bergab. Ab und an gab es Klosteranlagen und tolle Brücken zu bestaunen. Mopedfahrer überholten mich und riefen mir lautstark „Tashi Delek“ zu. Mit ihren riesigen Lautsprechern, die sie auf den Mopeds fixiert haben sind sie die fahrenden Jukeboxes. Kinder riefen mir zu und alte Frauen lächelten wenn ich sie grüβte.

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Abends wollte ich gerade mein Zelt auf einem Dorfplatz aufstellen, als ein junger Mönch zu mir kam und mich zu sich nach Hause einlud. Er wohnte in einem winzig kleinen Haus. Er selber kletterte durchs Fenster, suchte ewig nach seinem Handy und rief dann seinen Kumpel an, der ihm den Schlüssel des Hauses bringen sollte, damit auch ich ins Haus kam. Die Türe hatte ein riesen Schloss, man hätte meinen können, dahinter werden Goldbarren aufbewahrt. Stattdessen trat ich in eine Art Schuppen. Stockdunkel. Statt Goldbarren lagerte hier nur Feuerholz. Ein Baumstamm, in dem Kerben geschlagen waren, lehnte zur Decke und führte in den nächsten Stock. Eine total verqualmte kleine Küche und ein etwa 5 qm groβes Zimmer, verbarg sich hinter einer schweren Holzschiebetüre. Das Zimmer war voll mit buddhistischen Symbolen. Dalai Lama in allen Variationen. Er legte Tibetische Musik auf, zündete Räucherstäbchen an und warf mir eine Plastiktüte mit Süβigkeiten zu. Es sah bei ihm aus, als wäre am Tag zuvor eine Bombe im Haus explodiert, aber irgendwie hatte es eine klasse Atmosphäre. Er gab mir zu verstehen, dass er bereits um 4 Uhr zum Beten in den Tempel muβ, ich aber ruhig weiter schlafen könnte.

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Das Dorf war wunderschön. Alles Holzhäuser, die oftmals bunt bemalt oder dekoriert waren. Die Leute sehr schüchtern, Kinder rannten vor mir weg und jeder starrte mich an als wäre ich ein grünes Männchen vom Mars. Es hatte eine wahnsinns Stimmung und ich würde sagen es war eines der mystischsten Dörfer die ich je gesehen habe.

Die Straβe führte weiter am Fluβ entlang. Immer wieder kam ich an kleinen Siedlungen vorbei. Die Ernte wurde eingeholt, Leute fuhren mit ihren Traktoren die Felder entlang. Es war plötzlich alles wieder voller Leben. Alles war voller Farbe und irgendwie verspürte ich Frühlingsgefühle nach all den trostlosen Wochen im Niemandsland, irgendwo auf dem Qinghai Plateau. Ja, es war wie nach einem langen, harten Winter, wenn die Vögel morgens das erste Mal wieder zwitschern. Ich war in einer wunderschönen Welt angekommen. Der Höhenmesser zeigte das erste Mal 3.200 m an und somit wurden aus den Yaks wieder Kühe. Meine Kraft kam zurück, mein Körper funktionierte wieder.

Abends fragte ich bei der Polizei nach Unterschlupf, denn es sah bedrohlich nach einem Unwetter aus. Nachdem ein Chinese niemals auf die Idee kommen würde bei der Polizei vorbeizuschauen, weil die Leute richtig Angst vor Obrigkeiten haben, sind die Polizisten zu mir umso netter. Ich habe das Gefühl sie freuen sich gerade zu, dass endlich mal jemand freiwillig zu ihnen kommt und etwas Abwechslung in ihren Alltag bringt. Sie verpflegten mich und überlieβen mir den Gemeinschaftsraum. Die Nacht über schüttete es non stop und ich war heilfroh im Trockenen zu liegen.

Bis 4.600 m ging es am nächsten Tag wieder hinauf. Murmeltiere rannten über die Graslandschaften und die Kühe wurden wieder zu Yaks. Doch irgendwann war ich oben angekommen und Litang, der nächst gröβere Ort, war nun nicht mehr all zu weit entfernt. Weiter Richtung Shangri La ging es in endlosen Serpentinen bergauf. Von Pass zu Pass fällt es mir mittlerweile schwerer mich zu motivieren. Ich liebe die Berge, aber irgendwann reicht es selbst mir. Ich hatte einfach keine Lust mehr andauernd rauf und runter zu radeln. Seit Monaten war ich in den Bergen unterwegs und hatte nun langsam aber sicher Sehnsucht nach tieferen Lagen. Doch wie jeder Radler weiβ, wird man oftmals mit einem tollen Panorama, oder einer grandiosen Abfahrt für all die investierten Mühen belohnt. Und genau so war es auch diesmal wieder.

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Die Abfahrt vom nächsten Pass war endlos und nicht nur endlos, sondern auch wunderschön. Einfach traumhaft und irre abwechslungreich. Mal ging es steil am Hang entlang, dann durch frischen Wald, entlang einer tiefen Schlucht, vorbei an kleinen Dörfern und schluβendlich endete die Fahrt für mich wieder bei einer Polizeistation, denn es schüttete wie aus Kübeln und ich fragte nach einem trockenen Platz. Wie immer kam ich im Gemeinschaftsraum unter. Diesmal nächtigte ich zusammen mit Stalin, Lenin, Marx und Mao, deren Portraits golden gerahmt an der Wand hingen.

Das Polizeigebäude kann man in China nicht verfehlen. Es ist immer das gröβte und modernste Haus im Dorf. Ich bin jedesmal immer wieder von Neuem überrascht wie viel Polizei es überall gibt. Keiner hat etwas zu tun. Entweder spielen sie Karten, quatschen stundenlang miteinander oder fahren in ihren Autos spazieren. Richtig viel Personal in den entlegensten Gegenden.

Die Architektur veränderte sich. Auch die Gesichter der Leute. Es gab keine Nordamerikanischen Indianergesichter mehr zu sehen. Tibeter waren nun in der Minderheit. Die Leute sahen jetzt aus wie man sich Chinesen vorstellt. Grüne oder blaue Mao Batschkappen und runde Gesichter, zudem waren sie deutlich Kleinwüchsiger. Die Gangart änderte sich ebenso. Kein aufrechtes, selbstsicheres Auftreten mehr, nein, mehr ein nach vorne gebeugtes, unsicheres Erscheinungsbild. Es geschah irgendwie alles von einem Tal ins Nächste.

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Bisher hatte ich eigentlich noch nicht einmal so richtig das Gefühl gehabt, in China unterwegs zu sein. Zuerst waren es die Uiguren in der Provinz Xinjiang und anschlieβend die Tibeter, denen ich begegnete. Jetzt war ich so weit im Süden des Landes angekommen, dass sich nun alles zu ändern schien. Die Häuser waren oftmals so schön, dass ich durch die Dörfer mein Rad immer schob, damit ich auch ja nichts von der tollen Pracht der Häuser verpasste. Auch die Leute waren so sehr freundlich, dass ich gerne zu jedem Hallo sagen wollte. Einige schenkten mir sogar Früchte und jeder schenkte mir ein freundlich Hallo. Auch das hatte sich plötzlich verändert. Die Leute sagten nicht mehr „Tashi Delek“ oder „Ni hao“, nein sie sagten „Hallo“.

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Neureiche Chinesen kamen ab und an mit ihren dicken Jeeps an mir vorbei gerauscht, manchmal hielten sie auch an und wollten mich fotografieren. Meistens allerdings bretterten sie durch die Dörfer wie Gestörte. Ohne Rücksicht auf Verluste. Es wird non stop gehupt, frei nach dem Motto, weg da ich komme. Allerdings haben diesen Fahrstil alle Chinesen an sich. Die Hupen der LKWs sind so irre laut, dass ich jedes Mal zusammenzucke wenn wieder einer die Hupe drückt. Man kann sagen von 100 Verkehrsmitteln, hupen 98. Übersetzt heiβt das Hupen, entweder weg da oder Hallo. Weg da heiβt es, wenn penetrant gehupt wird, Hallo heiβt es, wenn kurz gehupt wird und nachdem ich nicht reagiere, wird noch einmal gehupt, so nach dem Motto, „Hallo, guck doch mal“. Wenn ein LKW in ein Dorf fährt, hupt er pausenlos von Anfang des Dorfes bis Ende des Dorfes. Selbst wenn Kinder auf der Straβe sind, denken sie nicht im Traum daran das Tempo zu drosseln. Das verblüffende ist, es stört auβer mir keinen Menschen. Teilweise fahren sie haarscharf an mir vorbei, wenn ich Pech habe bekomme ich dann sogar noch, als extra Dankeschön, eine Portion Dieselruβ ins Gesicht geblasen.

An einem Tempel beobachtete ich eine Gruppe Neureicher Han Chinesen, die eine groβe Gebetsmühle als Karussell miβbrauchten. Sie hängten sich zu mehreren an das Drehrad und einer schupste die Mühle an und alle lachten sich dabei halb kaputt. Respektloser und primitiver geht es wohl kaum. Ich konnte meinen Mund nicht halten, denn das war zu viel. Tibeter sind tiefgläubige Menschen, herzensgut und von daher haben sie weitaus mehr Respekt verdient. Zu meiner Überraschung entschuldigten sie sich bei mir und benutzten mich anschlieβend als Foto-Objekt.

Noch ein weiteres Mal klopfte ich bei der Polizei, denn wieder regnete es und wieder wurde ich gerne aufgenommen und durfte diesmal sogar duschen. Die Polizeistation lag mittlerweile nur noch auf 2.800 m. Der tiefste Punkt seit Ewigkeiten. Bis Shangri La waren es noch zwei weitere Pässe, dann hatte ich das Hochgebirge endlich hinter mir.

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Die Landschaft wurde immer dramatischer. Der Weg schraubte sich entlang wunderschöner Serpentinen den Hang hinauf und gab den Blick frei auf kleine Dörfer und farbige Felder. Die Straβe dagegen wurde deutlich schlechter und teils kämpfte ich sehr mit den vielen Steinen die überall die Straβe pflasterten. Später zog ein Gewitter auf und kurze Zeit danach wurde ich mit einem fantastischen Regenbogen belohnt. Am Gipfel, auf 3.800 m, wurde es nun bereits dunkel und ich suchte mir eine Zeltstelle im Wald. Kaum lag ich im Schlafsack kam ein Viech zu Besuch. Ich schätzte ein Nagetier, was mein leckeres Essen roch. Leider sah ich es nicht, sondern hörte es nur. Ich packte alles nochmals in eine Plastiktüte und verstaute es in meinen Radtaschen, um den Geruch zu beseitigen. Kurze Zeit war Ruhe, bis ein anderes, deutlich gröβeres Tier seltsame Geräusche von sich gab, die ich allerdings nicht zu ordnen konnte. Doch ein Glück verschwand es kurze Zeit später wieder. Ein Motorradfahrer kam des Weges, „Mist, dachte ich“, denn beim wild campen sollte man eigentlich nicht gesehen werden, aber dann dachte ich mir sofort, „ach was soll's, hier macht Dir sowieso niemand etwas.“

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Nebel und Regen umgab mich am Morgen. Doch irgendwann packte ich trotz allem zusammen und erklimmte den letzten 4000’er Pass !!! Wooohoooo, das war wie Weihnachten. Endlich. 4.200 m und dann ging's bergab. Durch tollen Wald, dem man ansah, dass es hier eigentlich immer nur regnet. Der Herbst war in vollem Gange. Die Blätter fingen an sich bunt zu färben und es lag bereits viel Laub auf dem Weg. Am Wegesrand wurde ich zum Frühstück am Lagerfeuer eingeladen. Ein paar Arbeiterinnen saβen dort in netter Runde zusammen. Es gab Teigtaschen gefüllt mit Kartoffeln und Pilzen. Sehr lecker. Dazu undefinierbaren Tee, der sehr schmackhaft war. Ich wärmte mich am warmen Feuer und fuhr irgendwann gestärkt weiter.

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Bis Shangri La war es nun mich mehr weit. Es erwarteten mich Supermärkte, Hochhäuser und jede Menge Menschen auf den Straβen. Ich war wieder in der Zivilisation und muβte mich nun erst einmal an all den Trubel gewöhnen.

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Wenn's um die Wurst geht, sollte man gut abschneiden.

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